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Das Münster zu Thann*
Adolf Stöber

«Mein lieber Knecht Materne,
Für alle Deine Treu'n
Möcht ich mit Lohn Dich gerne
Zu guterletzt erfreu'n :
Doch was mir Goldes eigen war,
Das trugest Du ja selber
Den Waisen und den Witwen dar.

«Nimm, was von allen bliebe,
Dies goldne Ringlein hin,
Das trage mir zu Liebe,
Wann ich gestorben bin.»
Entschlafen ist er alsobald
In seines Knechtes Armen
Der Bischof Theobald.

Maternus hat dem Greise
Die Augen zugedrückt,
Darauf mit Weinen leise
Sich nach dem Ring gebückt :
Er zieht -- doch sieh, der Finger bricht,
Und wie der Knecht ihn winde,
Vom Ringe läßt er nicht.

Kaum hat er unter Tränen
Bestattet seinen Herrn,
So treibt es ihn mit Sehnen
Zur alten Heimat fern.
Er macht aus Umbria sich auf,
Und trägt den Finger heilig
In seines Stabes Knauf.

Und als er heimgeschritten
Ins Elsaß eben kam,
Und noch in Waldesmitten
Die letzte Ruhe nahm,
Lehnt er an einen Tannenbaum
Den Pilgerstab und legte
Sich hin zu kurzem Traum.

Nach seinem Stab geschwinde
Nun springt er wieder auf ;
Doch an der Tannenrinde
Hält fest der heil'ge Knauf,
Verwachsen ist er ganz und gar
Und aus dem Wipfel steigen
Zwei blaue Flammen klar.

Er sieht sie staunend wehen,
Da rauscht's im Dickicht nah',
Und vor dem Pilgrim stehen
Viel schmucke Ritter da,
Der Herr von Engelburg voraus,
Dem auf dem Felsen droben
Sich hebt das Grafenhaus.

Er hat im Waldesgrunde
Die Flammen leuchten sehn,
Und kommt, daß er erkunde,
Was Wunder hier geschehn.
Was mit dem Ringlein seines Herrn
Sich alles hat begeben,
Das meldet ihm Matern.

Auch hebt er an zu künden,
Wie er vor langer Frist
Aus diesen Talesgründen
Einst ausgezogen ist,
Und bald zu Land, zu Meere bald,
Mit seinem Herrn gewandert,
Dem Ritter Theobald.

Wie der, gebeugt vom Schmerze,
Nicht Ruh noch Freude fand,
Bis leichter schlug sein Herze
Im geistlichen Gewand ;
Und wie er Bischof ward zuletzt,
Und wo sein Leichnam ruhet
In kühler Erde jetzt.

Da ruft der Graf : «Materne !
Bist Du es wahr und echt ?
Zurück aus weiter Ferne.
Du alter treuer Knecht ?
Sieh her -- von Engelburg der Graf
Bin ich, deß junge Schwester
Der Blitz vor Jahren traf.

Als ihm die Braut verschieden,
Dein Herr von hinnen schwand ;
So fand er denn den Frieden
Im geistlichen Gewand !
O Theobald und Adelheid
Ihr habt Euch wiederfunden
Nach mancher Trennung Leid !»

Der Stab wird ausgehauen :
Es drängt den Grafen gar
Das Ringlein zu erschauen :
«Der Brautring ist's fürwahr !
Das Wunder plötzlich deutet sich :
Das ist dieselbe Tanne,
Wo einst die Maid erblich !

«Drum hielt an diesem Stamme
So fest des Stabes Knauf !
Es schlug die Zwillingsflamme
Aus diesem Ringlein auf !
Das hat im weiten Waldesraum
Getreulich aufgefunden
Den alten Tannenbaum.

«O Schwester Adelheide !
Theobald, mein Bruder wert !
Wie diese Flammen beide
Ist Eure Lieb' verklärt.
So soll auch diesem Baum geschehn ;
An seiner statt soll künftig
Ein heilig Münster stehn.» --

Der dritte Morgen dämmert,
Schon hallt's im Waldesgau,
Der muntre Steinmetz hämmert,
Und bald ersteht der Bau ;
Gen Himmel sproßt er kühn und schwank
Mit tausend lust'gen Ästen,
Wie eine Tanne schlank.

Und ringsum unverzüglich
Erhebt sich Haus an Haus,
Zum Tale schaut vergnüglich
Das Städtlein Thann heraus ;
Sankt Theobaldus schirmt es mild,
Und eine Tanne führt es
In seinem Wappenschild.

Und alle Glocken mahnen
Am Tag St. Theobald,
Da kommt mit Kreuz und Fahnen
Der fromme Zug gewallt ;
Und mancher hat zur Nacht gesehn,
Hoch aus der Münsterkrone,
Zwei blaue Flammen wehn.


*August Stöber sagt in den Anmerkungen zu seinem oberrheinischen Sagenbuch: Der heilige Theobaldus, auch Ubaldus genannt, war aus einem adligen Geschlechte zu Eugubin geboren; er starb den 16. Mai 1161 und wurde 1192 vom Papste Cölestin III. kanonisiert. Ein altes Loblied auf Theobaldus enthält folgende Strophe:

Obschon die Seel' im Himmel ist,
So lebt er noch auf Erden;
Weil hier durch ihn dem frommen Christ
Kann viel erteilet werden.
Von ihm empfindt die Thanner Stadt,
Obschon sie nur den Daumen hat,
Die ganze Vaters Hande.

Das jetzige Münster von Thann wurde 1430 angefangen und 1516 vollendet. -- Zwei Feste erinnern jährlich an die in der Legende erzählte Begebenheit.

Den 16. Mai von Mitternacht an, gehen zahlreiche Gruppen aus allen katholischen Familien dreimal um die Stadt herum und beten; am folgenden Tage wird dann eine große feierliche Prozession gehalten, wozu viele Tausende aus den umliegenden Ortschaften herbeiströmen.

Das originellste Fest wird jedoch in der Nacht des letzten Junius, dem Vorabende des Theobaldustages, der auf den 1. Juli fällt, gefeiert. Abends um 8 Uhr begeben sich der Pfarrer, der Bürgermeister, der Friedensrichter und die übrigen Ortsvorgesetzten, im Gefolge einer unzählbaren Volksmenge, mit brennenden Kerzen aus dem Münster und zünden nach und nach drei von dem Ortspfarrer geweihte ungeheuer große Tannen an, die von oben bis in die Mitte herab geschlitzt und mit Holzspänen ausgefüllt sind und vor dem Kirchplatze aufgestellt werden. So wie die brennenden Holzsplitter herabfallen, stürzt sich das Volk in Andacht und Hitze darauf, um sich derselben zu bemächtigen; jeder muß sich ein Stück Holz oder Kohle erringen, denn sie sollen wundertätig wirken. Wenn sich nun die Menge also in heiligem Eifer um die brennenden Reliquien streitet, läßt man die Feuerspritzen unter sie hinein spielen, bis die letzte Glut erloschen und das helle heitere Fest ein dunkeles und nasses Ende nimmt. Das Stadtwappen schmückt noch jetzt eine Tanne, auch die alten Münzen, welche die Stadt schlagen durfte, tragen eine Tanne im Gepräge.


From Rheinlands Wunderhorn: Sagen, Geschichten und Legenden, auch Ränke und Schwänke aus den alten Ritterburgen, Klöstern und Städten der Rheinufer und des Rheingebietes von der Quellen bis zur Mündung des Stromes, zweiter Band [Schwaben, Elsaß-Lothringen] (Wiesbaden: Gustav Quiel's Verlag), p. 112-116.

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Last modified: 03-Jul-2004