Das trauliche, schön gelegene Städtchen Thann ist dem Freunde der alten romantischen Sage in doppelter Beziehung merkwürdig; einmal wegen des Kirchthurmes, sodann aber und hauptsächlich wegen des in der Nähe befindlichen sogenannten Lügenfeldes. Der Kirchthurm wurde in einer Zeit gebaut, als bei großer Dürre und Hitze ein empfindlicher Wassermangel herrschte, und Quelle und Brunnen kaum den nöthigen Trunk zur Stillung des Durstes lieferten. Dagegen war zu eben jener Zeit der Wein in solchem Maaße wohl gerathen, daß man, auf diesen Ueberfluß nicht vorbereitet, weder Behälter noch Gefäße genug erschaffen konnte, um den reichen Segen aufzubewahren. Daher geschah es, daß die Bürger von Thann den zum Thurmbau nöthigen Mörtel, statt mit Wasser, mit Wein zubereiteten, der den Kalk in eine dem gährenden Moste ähnliche Aufregung versetzte und weit umher lieblichen Duft verbreitete.
Durch solche Anwendung des süßen Traubensaftes soll der Bau nicht nur eine außergewöhnliche Festigkeit erlangt haben, sondern es soll auch bis auf heutigen Tag noch das Gemäuer zuweilen einen angenehmen Weindunst ausschwitzen, zur Zeit, wenn das köstliche Gewächs in der Blüthe steht. Man fügt sogar hinzu, daß das Geläute dann wohlklingender und harmonischer sei.
Nicht so anmuthig, vielmehr schauerlich und grauenerregend, ist die Sage von dem Lügenfelde. Eine menschenleere, öde Haide, eine unheimliche, unfruchtbare Wildniß dehnt sich vor dem Auge des Wanderers aus, und nur ungern betritt man das berüchtigte Feld, welches die Natur zum Sitze des Todes bestimmt zu haben scheint. Keine Stimme eines lebenden Wesens ertönt, kein grünender Halm sprießt auf dem weiten Anger; den einzigen Farbenwechsel auf dem dunklen Moosgrunde bieten die weißgebleichten Schädel dar, die, einer unheilvollen Saat gleich, hier umhergestreut sind.
Einst, so lautet die Sage, verirrte sich ein Wanderer, den die Nacht überraschte, auf dieses weite Blachfeld. Die Glocke der nahen Stadt verkündete die zwölfte Stunde, und zugleich mit diesem Schlage vernahm der Einsame um sich her ein unterirdisches, seltsames Rauschen, ein Rasseln wie von Waffen, und ein Getümmel wie von Fechtenden. Plötzlich stand vor ihm die Gestalt eines geharnischten Kriegers, in drohender Stellung, und redete den Erschrockenen also an: «Was sucht du hier, Unglücklicher, und warum wagst du es, das Feld zu betreten, das, schon seit vielen hundert Jahren mit dem Fluche belastet, ein Feld des Schreckens und des Todes ist? Bist du ein Fremdling in diesem Lande, so wisse, daß du auf eben der Stelle stehest, wo einst Ludwig der Fromme sein Heer ordnete, um in offener Schlacht mit seinen Feinden zu kämpfen. Einen ehrlichen Kampf wollte der greise König bestehen; aber seine Gegner, seine eigenen Söhne, sannen auf Verrath, und Lothar, der Schändliche, bestach mit Geld und glatten Worten die Krieger.
«Und als nun der fromme Ludwig, auf die Treue seiner Schaaren vertrauend, die Schlacht beginnen wollte, erlebte er den schmählichen Abfall der Seinen, die ihm die Krone vom Haupte rissen und ihn seinen Widersachern überlieferten. Da rief der betrogene Greis mit zum Himmel gerichtetem Blick und des bittersten Schmerzes voll: ««Es gibt keine Treue mehr auf dieser Welt, denn alle meine Krieger verrathen mich. Verflucht seien sie und dieses Feld, das solcher That Zeugen gewesen, verflucht auf ewige Tage!»»
«Dieser Fluch, o Fremdling, ist aufs schrecklichste in Erfüllung gegangen. Hier unter dieser schwarzen Haide liegen, in meilenweit ausgebreiteten Gräbern versammelt, die meineidigen Krieger, und wie durch unsere Treulosigkeit wir unserm Könige des Lebens Glück und die Ruhe des Herzens geraubt, so wird nimmer unserm Gebein das Glück der Ruhe werden, und nimmer wird der Fluch von diesem Felde genommen, das seit jener That das Lügenfeld heißt.»
Nach diesen Worten versank der gespenstige Krieger in den Boden, der mit dumpfem Dröhnen sich öffnete und sich wieder schloß; der Wanderer aber, von Schrecken und Grauen erfaßt, eilte von dannen, und folgenden Tages berichtete er, was er auf der Haide erfahren.
[From Die Sagen des Rheinlandes von Basel bis Rotterdam, by F. J. Kiefer, Sechste Auflage (Mainz: Verlag von David Kapp), p. 12-14]
«Bei Thann da grünen Tristen voll reicher Wiesenflur,
Und lustig rauscht dazwischen die himmelblaue Thur;
Doch öde liegt inmitten der blütenreichen Welt,
In meilenweiter Strecke, das brache Lügenfeld.»
Im Ober-Elsaß, an der blauen Thur, liegt das schöne Städtchen Thann. Dem Freunde der romantischen Sage ist dasselbe in zweifacher Hinsicht merkwürdig, einmal wegen seines Kirchturms, dann auch wegen des Lügenfeldes, das sich in seiner Nähe, inmitten einer reizenden Umgebung, in meilenweiter Strecke, brach und öde ausbreitet.
Eine liebliche Sage erzählt, daß in altersgrauer Vorzeit das Elsaß von einer solchen Dürre ist heimgesucht worden, daß die Bäche und Brunnen vertrockneten, und bei unerträglicher Hitze großer Wassermangel eintrat. Damals bauten die Thanner einen neuen Kirchturm, und da kein Wasser vorhanden, war man in großen Sorgen, wie der Mörtel zum Bau zu beschaffen sei. Doch, ist die Not groß, ist auch die Hülfe nicht weit. Hatte der Himmel Tau und Regen versagt, so füllte er dafür um so reichlicher die Beeren der Rebstöcke mit goldenem Naß. Ja, der Weinsegen war in jenem Jahr so groß, daß ihn die guten Thanner nicht zu bergen wußten; es fehlte allenthalben an Behältern, Kübeln und Fässern.